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Das faszinierende Gehör der Schweinswale

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Ein Gastbeitrag von Corinna Ruhl

Corinna Ruhl ist selbständige Hörakustikmeisterin in der Nähe von Mainz. Als Fachjournalistin schreibt sie seit über 15 Jahren. Mehr Informationen zu Corinna Ruhl gibt es >>> hier <<<.

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Das faszinierende Gehör der Schweinswale

Steht man in Wilhelmshaven am Ufer oder ist Gast eines Ausflugbootes und hat das Glück die kleinen Schweinswale zu entdecken, sind die meisten Menschen ganz aufgeregt und viele juchzen vor Freude. Gern würde man sie näher an sich heranlocken; ähnlich einer Katze oder einem Hund. Mal ganz davon abgesehen, dass wildlebende Tiere eher scheu sind, fragt man sich, ob die possierlichen Tiere die Rufe eines Menschen überhaupt hören können.

Foto© Michael Hillmann

Immerhin vermutete man lang, dass Meeressäuger nicht hören, da ihnen die äußerlichen Anzeichen, die Ohrmuscheln, fehlen. Mittlerweile kennen Forschende den Gehörapparat der Schweinswale sehr gut und haben herausgefunden, dass Meeressäuger ein Gehör haben, dass dem des Menschen weitaus überlegen ist. Schweinswale hören Töne, die ein Mensch nicht wahrnehmen kann und die auch jenseits all seiner Vorstellungskraft liegen.

Die akustische Welt der Schweinswale


Um das Hören eines Schweinswals so erklären zu können, dass man es als Mensch nachvollziehen kann, braucht es ein wenig Physik. Hören in Wasser folgt anderen naturwissenschaftlichen Gesetzen, als wenn man ein Geräusch aus der Luft wahrnimmt. Schall breitet sich im Wasser etwa viermal so schnell aus, als in unserem vertrauten Medium, der Luft; legt dieser auf der Erdoberfläche etwa 340 Meter in einer Sekunde zurück, schafft ein akustisches Signal im Wasser um die 1550 Meter in der gleichen Zeit. Dies hängt mit der höheren Dichte des Wassers zusammen. Auch der Schallempfang ist im Wasser anders als in der Luft. Dies liegt an der Anatomie des menschlichen Körpers. Direkt hinter den Ohrmuscheln sitzt beim Menschen der Mastoid. Das ist ein Knochen, der lediglich durch eine dünne Haut geschützt ist.  Ankommender Schall aus der Luft, kann diesen Knochen kaum überwinden. Im Wasser stellt dieser einen Schallleiter dar und überträgt ankommende Geräusche in das darunter liegende Mittel- und Innenohr. Im Wasser fängt der Mensch also die Geräusche nicht mehr nur mit seinen Ohrmuscheln auf. Dieses Phänomen kennt jeder Mensch, der beispielsweise im Schwimmbad unter Wasser abtaucht. Sofort hört sich die Welt anders an. Man hat das Gefühl, dass die Geräusche viel näher sind, auch hört man viel lauter. Allerdings kann der Mensch kaum noch sagen aus welcher Richtung ein Schallereignis kommt. Dies hängt, unter anderem, mit der oben erwähnten Schallgeschwindigkeit unter Wasser zusammen. Damit der Mensch unterscheiden kann ob ein Signal beispielsweise von rechts oder links kommt, braucht er eine Zeitdifferenz zwischen beiden Ohren. Vom schallzugewandten zum schallabgewandten Ohr, benötigt der Schall in der Luft 0,63 Milli- Sekunden (ms), um von dem einen Ohr zum andern zu wandern. Der Mensch hört, durch diese minimale Zeitverzögerung, aus welcher Richtung der Schall kommt. Das ist eine fantastische Leistung des menschlichen Hörapparates. Da der Schall unter Wasser aber viermal schneller ist, irritieren den Menschen die ankommenden Signale und er kann sie nicht mehr auswerten.

Schweinswale hören ganz anders als Menschen


Der auffälligste Unterschied zwischen den beiden Hörorganen liegt in der Tatsache, dass Wale keine Ohrmuscheln haben. Lediglich eine Stecknadelkopfgroße Öffnung ist noch, einige Zentimeter hinter den Augen, zu finden. Alle Wale stammen ursprünglich von Landtieren ab und gewöhnten sich langsam an das Medium Wasser. Eine Ohrmuschel störte beim Gleiten durch das Wasser, stellte einen Widerstand dar und war also nicht ergonomisch. So entwickelten sich, im Laufe der Evolution, die Ohrmuscheln zurück. Es könnte einen weiteren Grund für diese Entwicklung gegeben haben. Dringt kaltes Wasser in die Ohren, kann dies zu schlimmen Entzündungen im Gehörgang als auch dem Mittelohr führen. Viele Menschen trocknen sich als erstes die Gehörgänge, wenn sie aus einem kalten Wasser kommen oder nach dem Duschen. Und so führte die Entwicklung der Meeressäuger dazu, dass der Gehörgang beim Wal zwar noch vorhanden, aber größtenteils verschlossen, bzw. sehr verengt ist. Menschen, die aus beruflichen oder privaten Gründen, viel im kalten Wasser schwimmen, bilden in deren Gehörgängen sogenannte Exostosen aus. Das sind Auswölbungen des Gehörgangs, die man sich wie kleine Hügel vorstellen kann und das Eindringen vom Wasser reduzieren sollen.

Bild© Corinna Ruhl

Anatomie- Das Mittelohr des Schweinswals


Wie bereits erwähnt besitzen Wale keine Ohrmuscheln und verengte Gehörgänge. Das Trommelfell ist trichterförmig nach Innen gezogen, wenn es überhaupt noch erkennbar ist. Das gesamte Hörorgan, also das Mittel- und das Innenohr liegt in einer Kapsel, die aus einem sehr festen Knochen besteht, und ist über Bindegewebsbänder mit dem Schädel verbunden. Die Ohrkapsel sitzt also nicht, wie beim Menschen, fest im Schädel. Ganz ähnlich aber, ist das Mittelohr über die sogenannte Eustachische Röhre, mit der Mundhöhle verbunden. Beim Schweinswal hat diese einen Innen- Durchmesser von etwa 0,1- 0,2 mm und zieht, laut Günther Behrmann, von der Ohrkapsel über einen sog. Luftsack zum Nasen- Hof. Behrmann war Leiter des Nordsee- Museums und international anerkannter Präparator und sezierte so hunderter gestrandeter und verstorbener Wale.

Im Mittelohr sitzt beim Menschen die Gehörknöchelchenkette mit Hammer, Amboss und Steigbügel; auch hier ähneln wir uns sehr. Allerdings sind die Knöchelchen beim Schweinswal anders angeordnet und scheinen untereinander nicht so beweglich zu sein, wie es beim Menschen der Fall ist. Die Gehörknöchelchen haben bei an Land Lebenden die Funktion den ankommenden Schall zu verstärken, da er später im Innenohr auf eine Flüssigkeit trifft. Allerdings sind sie auch sehr anfällig gegen Druck, was erklären könnte, dass auch hier die Evolution bei den Meeressäugern Veränderungen vorgenommen hat. Ebenso entdeckte Behrmann eine weitere menschenähnliche Anatomie. Muskeln im Mittelohr, die, bei auftretendem lautem Schall, kontrahieren, sich also zusammenziehen, und dadurch ein Schutzmechanismus gegen Lärm darstellen. Das funktioniert aber nur begrenzt. Jeder Mensch hat sich sicher, schon das eine oder andere Mal, die Ohren zugehalten, weil es ihm zu laut wurde. Walen ergeht es ebenso, nur dass sie nicht die Möglichkeit haben, ihr Gehör mit den Händen zu schützen.

Innenohr


Das Innenohr sieht aus wie eine Schnecke, man nennt es auch Cochlea. Das des Menschen hat zweieinhalb Windungen. Laut Behrmann habe das Innenohr der Schweinswale etwa eine halbe Windung weniger, was der Grund dafür sein könnte, dass Schweinswale manche dunklen Töne, die ein Mensch hört, noch nicht wahrnehmen können. In dieser Schnecke sitzen beim Menschen etwa 15.000 sogenannte Haarsinneszellen im Corti- Organ. Dieses sitzt wiederum auf der sogenannten Basilarmembran, die zu Beginn, also am ovalen Fenster, schmal und dick ist und zum Schneckenende zunehmend breiter und dünner wird. Jede Masse schwingt in seiner eigenen Frequenz, welche umso höher ist, je dicker oder fester sie ist; bei dieser Eigenfrequenz liegt auch das Erregungsmaximum; so hat quasi jede Haarsinneszelle ihren Platz, entlang der Basilarmembran, und reagiert auf eine ganz bestimmte Frequenz am empfindlichsten. Zur Verdeutlichung kann man sich diese Cochlea ausgerollt, wie einen Teppich vorstellen. Zu Beginn nehmen die Haarsinneszellen die Schwingungen für die hellen Töne auf, je weiter man zum Ende, der Helicotrema, kommt, umso tiefere Frequenzen werden darüber aufgenommen. Das erklärt beispielsweise eine sogenannte Altersschwerhörigkeit, weil, quasi“, jeder ankommende Schall zunächst über die feinen Härchen zu Beginn der Cochlea „rollt“. Beim Schweinswal sind diese feinen Haarsinneszellen ebenso angeordnet, allerdings sei die Dichte der Härchen wesentlich höher. Schweinswale können ganz andere Frequenzen wahrnehmen als der Mensch. Man weiß, dass zum einen wesentlich mehr Haarsinneszellen im Corti- Organ vorhanden sind, und die Basilarmembran wird eine andere Struktur besitzen; sie muss, entsprechend der vorangegangenen Erklärung, an der Basis noch schmaler und dicker sein als beim Menschen.

Bild© Corinna Ruhl

Frequenzselektivität und Empfindlichkeit


Der Mensch hört Töne zwischen 20 und 20.000 Hertz, der Schweinswal zwischen 100 und 150.000 Hertz. Je höher die Zahl, desto höher der Ton, also die Frequenz; sie beschreibt wie viele Schwingungen pro Sekunde stattfinden und man kürzt die Einheit Hertz der Frequenz in aller Regel mit „Hz“ ab; für sehr hohe Frequenzen nutzt man die Bezeichnung Kilo Hertz, kurz KHz. Auch in der Empfindlichkeit des Gehörs, also wann man einen Ton gerade eben wahrnehmen kann, unterscheidet sich das Gehör der in unseren Gewässern beheimateten Wale zu dem des Menschen wesentlich. Bis etwa 4,5 KHz ist das Gehör des Menschen empfindlicher. Reicht dem hörgesunden Menschen, beispielsweise, bei 300 Hz ein Schalldruckpegel von etwa 15 dB, um diesen gerade eben wahrnehmen zu können, hört der Schweinswal den gleichen Ton erst bei etwa 50 dB. Das ist in etwa die Lautstärkee von Flüstersprache. Der Schalldruckpegel, oder auch häufig nur, als Schallpegel bezeichnet, ist die Lautstärke eines Signals und die übliche Einheit ist das Dezibel, kurz dB.

Mit zunehmender Frequenz werden die Unterschiede der Empfindlichkeit weniger, sodass die Hörschwelle des 4,5KHz- Tones beim Menschen und beim Schweinswal etwa gleich ist. Je heller nun ein Ton wird, desto früher nimmt der Schweinswal diesen, im Vergleich zum Menschen, wahr. Bei etwa 20KHZ hört die Hörwahrnehmung des Menschen auf, weil er für darüber liegende Frequenzen keine Haarsinneszellen mehr hat. Für diesen Ton braucht der Mensch etwa 30 dB, um ihn ganz leise hören zu können. Der Schweinswal nimmt ihn bereits bei etwa -10 bis -15dB wahr. Bis etwa 140KHz bleibt diese Hörschwelle so früh und erhöht sich erst rapide, wenn die Frequenz auf 150KHz ansteigt.

Wale waren ursprünglich landlebende Säugetiere, die sich Schritt für Schritt über Millionen von Jahren an das stetige Leben im Wasser angepasst haben. Stellt sich also nun die Frage, warum Wale, hier im Besonderen der Schweinswal, ein solch feines Frequenzhören besitzen.

Für den Schweinswal gibt es eine plausible Erklärung. Er lebt vorwiegend in trüben Gewässern. Er hält sich nicht nur im Wattenmeer auf, sondern schwimmt ebenfalls in Flussmündungen. Die Sichtweiten in solchen Gewässern sind sehr schlecht; er kann sich also auf seine Augen praktisch nicht verlassen.

Im Lehrbuch der vergleichenden Sinnesphysiologie „Die Sinne der Tiere“ von Stephan Frings beschreibt der Autor, wie und aus welchen Gründen sich die Sinne, das Hören ist nur einer davon, der Tiere an ihre Lebensbedingungen angepasst haben und sich, aus diesem Grund, so stark von den menschlichen Sinnen unterscheiden können. Früher dachte man beispielsweise, dass der Schweinswal nicht mit seinen Artgenossen kommunizieren würde. Dabei sind wir Menschen einfach nicht in der Lage sie zu hören, da sie sich hauptsächlich in den Frequenzen zwischen 130KHz und 150KHZ unterhalten. Einer der Gründe hierfür könnte sein, dass sie dadurch nicht nur für den Menschen unhörbar sind, sondern auch für ihre natürlichen Fressfeinde praktisch „unterm Radar schwimmen“, wie beispielsweise dem Orca.

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Das Hören aller Lebewesen ist ein sehr komplexer Vorgang und wurde hier vereinfacht dargestellt. Wer mehr erfahren möchte, beispielweise woran ein Mensch unterscheiden kann, ob ein Signal von hinten oder vorn kommt und warum Schweinswale wahrscheinlich nicht dazu in der Lage sind, kann gern die Autorin per Mail kontaktieren corinnaruhl@web.de.

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Vita

Vita

Corinna Ruhl ist selbständige Hörakustikmeisterin in der Nähe von Mainz. Als Fachjournalistin schreibt sie seit über 15 Jahren.

Ihre Leidenschaft gilt dem Umwelt- und Lebewesen- Schutz. Hierfür setzt sie sich immer wieder ein, fasst aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen verständlich zusammen und erzählt davon in ihren Vorträgen und Artikeln.

Im Jahr 2020 erschien ihr Debüt- Roman „Der weiße Wale vom Rhein“. Hier erzählt sie die wahre Geschichte des Belugas der 1966, etwa vier Wochen lang im Rhein schwamm und die Welt erstaunte, aus der Sicht des Wals und seinem besten Freund, einer Rheinmöwe.

Foto© Corinna Ruhl

Zurzeit schreibt sie, als Co- Autorin, ein weiteres Buch, welches voraussichtlich im Sommer 2024 erscheinen wird.

Corinna Ruhl ist Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um den Sinn „Hören“, sowie der akustischen Belastungen durch die Umwelt. Menschen mit Hörbeeinträchtigungen berät sie seit 1987 und war viele Jahre lang Ausbildungsleiterin eines großen Unternehmens. Ihr neues Spezialgebiet, das Hören der Tiere, begeistert sie mindestens ebenso.

Dabei geht es Ruhl um Verständnis und Respekt ebenso wie die Freude an den anderen Wesen. „Das, was man liebt, schützt man“, ist eine ihrer Lieblingsaussagen und so gestaltet sie auch ihre Veröffentlichungen. Mit viel Herz für den Zuhörer und für die Wesen von denen sie erzählt.

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